Flucht nach Ost-Berlin

Viele Jahre gehörte das Lenné-Dreieck zwischen Ebert-, Bellevue- und Lennéstraße zum DDR-Gebiet, auch wenn es sich auf der Westseite der Mauer befand. Nachdem hier am 17. Juni 1953 das Columbus-Haus abgefackelt worden war, in dem sich ein Stützpunkt der Ost-Berliner Volkspolizei befand, wurde das Gelände nicht mehr genutzt. In den folgenden 35 Jahren war es Brachland. Im Zuge eines Gebietsaustauschs wurde beschlossen, es dem West-Berliner Senat zu überlassen, der hier einen Teil der geplanten Westtangente bauen wollte – eine Autobahn, von Schöneberg bis in den Wedding.

Im Mai 1988 jedoch besetzten linke Aktivisten das Lenné-Dreieck, das sie in Kubat-Dreieck umbenannten, in Erinnerung an Norbert Kubat. Der 29-Jährige war ein Jahr zuvor bei den 1.-Mai-Krawallen festgenommen worden und hatte sich in der Haft erhängt.

Die Besetzung sollte die Nutzung des Geländes für den Autobahnbau verhindern. In den Wochen danach entstand auf dem Dreieck ein Zelt- und Hüttendorf, in dem Dutzende Menschen wohnten, Tiere gehalten wurden und Veranstaltungen stattfanden. Auch ein Piratensender wurde von hier aus betrieben. Da es sich noch immer um DDR-Gebiet handelte, durfte die West-Berliner Polizei es nicht betreten.

Am frühen Morgen des 1. Juli 1988, als das Gelände offiziell an West-Berlin ging, rückte die Polizei mit Panzern, Wasserwerfern und einigen hundert Mann an, um das Kubat-Dreieck zu räumen. Etwa 200 der Besetzer und Sympathisanten kletterten an Leitern die Mauer hoch. Da die DDR-Regierung im Vorfeld von der Aktion informiert war, hatte sie auf dem Grenzstreifen LKWs aufgefahren, in die die Besetzer dann kletterten. Damit konnten sie sich der Verhaftung durch die West-Berliner Polizei entziehen. In Ost-Berlin kamen die umgekehrten Flüchtlinge erst zum Frühstück in eine Grenztruppen-Kaserne und konnten danach mit der U-Bahn wieder nach West-Berlin fahren.
Die Autobahn wurde trotz der Räumung nicht gebaut.

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6 Kommentare

  1. „… als das Gelände offiziell an West-Berlin ging, rückte die Polizei mit Panzern, Wasserwerfern und einigen hundert Mann an, …“

    Mit Panzern????? Also ich war dabei und glaube gesehen zu haben, daß umme Ecke am alten Esplanade sogar Abschußrampen für cruise missiles und MILAN-Raketen in Bereitschaft standen …

    Und eine Wahlbeteiligung von 929% bei der Wahl zum Bürgermeister find´ ich auch arg krass. Wo kamen die den alle her?

    :-)

  2. Ich war ebenfalls dabei (aber nicht bei den Mauerspringern). Tatsächlich waren mindestens zwei ihrer schicken grünen Panzern dort, die sie erst im Vorjahr angeschafft hatten.

  3. Ich hab’s ja damals in Fernsehen mitbekommen. Die Sache mit der Fluchtgeschichte in den Osten war einer der wenigen Momente, wo mir die offizielle DDR richtig sympathisch war…

    Beim Blick neulich auf ein Foto des Potsdamer Platzes (war zuletzt mit Klaus dort) zu Mauerzeiten dachte ich mir, heute wäre es eine echte Herausforderung einzelne Punkt von damals heute zu verorten.

    @Peer: jetzt muss ich wohl noch einen Berlin-Blog lesen, schon das Yorckbrückenfoto macht richtig Lust!
    @Aro: spendiere der Wahlbeteiligung halt ein Komma, sind ja noch 10,5 Stunden ;-)

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