Rathaus Schöneberg

Das Rathaus Schöneberg wurde weltweit bekannt, weil es während des Kalten Kriegs sowohl den West-Berliner Senat, als auch das Abgeordnetenhaus beherbergte. Im Westen wurde es als Hort der Freiheit betrachtet, im Osten als Zentrum der Imperialisten. Dies ist die Geschichte des Hauses, das gar nicht für „große Politik“ gebaut worden war.

  1. Die Stadt wächst und braucht ein neues Rathaus
  2. Der erste Hausherr im Neuen Rathaus
  3. Das Rathaus zwischen Revolution und Restauration
  4. Das Rathaus im Dienst der Diktatur
  5. Krisenmanagement in der Nachkriegszeit
  6. Das Rathaus Schöneberg wird Regierungssitz
  7. Das Rathaus als lokales Verwaltungszentrum
  8. Kundgebungen, Demonstrationen, hohe Gäste
  9. Raumnot allerorten
  10. Die Untermieter ziehen aus
  11. Das Rathaus nach der Fusion

1. Die Stadt wächst und braucht ein neues Rathaus

„Für Schöneberg ist gerade das Beste gut genug!“

Mit der Verleihung der Stadtrechte an die Gemeinde Schöneberg am 1. April 1898 beginnt eine neue Ära für die kommunale Verwaltung. Das rapide Wachstum der Stadt hatte eine neue Verwaltungsstruktur und eine größere Eigenständigkeit notwendig gemacht.

Als der frisch gewählte Erste Bürgermeister Rudolph Wilde seine Tätigkeit im Rathaus Schöneberg am Kaiser-Wilhelm-Platz aufnimmt, ist die Einwohnerzahl von Schöneberg bereits auf 80.000 gestiegen. Das enorme Bevölkerungswachstum -1890 lebten hier nur knapp 30.000 Menschen – stellt die Stadtverwaltung vor gewaltige Aufgaben. Wohnraum und Bildungseinrichtungen müssen geschaffen werden, der öffentliche Nahverkehr ist auszubauen, die Gesundheits- und Sozialfürsorge soll verbessert werden und vieles mehr.

„Für Schöneberg ist gerade das Beste gut genug!“ wird der Wahlspruch Wildes. 12 Jahre lang bewältigt er gemeinsam mit hervorragenden Experten die dringendsten Probleme.

Das 1892 erbaute Rathaus am Kaiser-Wilhelm-Platz ist mit seinen 60 Diensträumen den Anforderungen an eine moderne Stadtverwaltung längst nicht mehr gewachsen. 1901 schlägt der Magistrat vor, eine Deputation für den Bau eines neuen Rathauses einzusetzen.

„Schöneberg wird aus dem größten Preußischen Dorfe eine der größten Städte Preußens werden

Rudolph Wilde, erster Bürgermeister der Stadt Schöneberg bei seiner Antrittsrede am 1. April 1898

„Wann das neue Rathaus errichtet werden soll, bleibt einstweilen dahingestellt; unter allen Umständen ist es aber dringend, schon jetzt einen geeigneten Bauplatz ausfindig zu machen, weil geeignete Bauplätze nur in geringer Zahl vorhanden sind und weil diese Zahl sich von Jahr zu Jahr durch die fortschreitende Bebauung vermindert.“

Schöneberger Tageblatt vom 15.2.1902


2. Der erste Hausherr im Neuen Rathaus

„Ruf nach Gemeinsinn in der Bürgerschaft“

Nach jahrelangen Debatten um den Standort konnte am 26. Mai 1911 der erste Grundstein für ein neues Rathaus gelegt werden. Diesen Termin hatten Stadtverordnetenversammlung und Magistrat gewählt, um den kurz vorher verstorbenen Oberbürgermeister Wilde zu ehren, der an jenem Tag 54 Jahre alt geworden wäre.

Die Grundsteinlegung ist die erste Amtshandlung des neuen Ersten Bürgermeisters Alexander Dominicus, der zu diesem Anlass vom Kaiser zum Oberbürgermeister ernannt wird. In seiner emphatischen Festrede appelliert er an den künftigen Gemeinsinn der Bürgerschaft, die bereits im Vorfeld durch private Stiftungen das ehrgeizige Vorhaben großzügig unterstützt hat.

Die Bauausführung wird den Architekten Jürgensen & Bachmann übertragen, deren Entwurf im Rahmen mehrerer Wettbewerbsphasen zur Realisierung ausgewählt worden war. Am 25. März 1914 tagt die Stadtverordnetenversammlung zum ersten Mal im neuen Haus. Aber die geplante festliche Einweihung fällt dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Opfer. Statt üppiger Bankette gibt es im Ratskeller eine „Volksküche“ und nebenan wird im Rahmen der Kriegswirtschaft eine Materialsammelstelle eingericht.

Die Architekten Jürgensen & Bachmann hatten eine Vierflügelanlage entworfen mit einer Grundfläche von fast 10.000 Quadratmetern, einer 93 Meter langen Hauptfront zum Rudolph-Wilde-Platz und einem 81 Meter hohen Turm. Das Innere des monumentalen Baublocks entspricht dem formulierten Raumanspruch: mehrere große Sitzungssäle für den Magistrat und die Stadtverordneten, mehr als 370 Büroräume und eine Stadtbibliothek für die Stadtverwaltung, dazu einen Bürger- und Bankettsaal sowie einen Ratsweinkeller für die Bevölkerung Schönebergs. Die angedachten Kolonnaden links und rechts des Rathauses werden nicht verwirklicht.

„Die große Turmuhr des Neuen Rathauses, die jetzt vom Gerüst entkleidet ist, glänzt mit ihren goldblitzenden Zeigern weit hinaus, aber sie sagt noch nicht, was die Glocke geschlagen hat. Beharrlich steht sie auf 5 Minuten nach 12…“

Schöneberger Tageblatt vom 4.4.1914

„Vor allem zielen die meisten Beschwerden auf die schwer zu öffnenden Bronzetüren des Hauptportals ab, die besonders von schwächlichen Personen beiderlei Geschlechts erheblichen Kräfteaufwand erfordern.“

Schöneberger Tageblatt vom 31.1.1915


3. Das Rathaus zwischen Revolution und Restauration

„Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen“

1918 – Revolution in Berlin! Für kurze Zeit weht vom Schöneberger Rathaus die Rote Fahne. In der Eingangshalle wird am 10. November als Symbol der alten Ordnung der eiserne Bismarck-Kopf vom Sockel gestürzt. Einst war er von den Oberlehrern Schönebergs für das Rathaus gestiftet worden. Im Vorfeld der im Januar 1919 stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung polarisieren sich wie in ganz Berlin auch in Schöneberg die politischen Gruppierungen. Als das Gerücht aufkommt, die Spartakisten wollten das Rathaus stürmen und den Oberbürgermeister verschleppen, lässt Dominicus eine Bürgerwehr einrichten. Wenige Monate später kommt sie beim Kapp-Putsch zum Einsatz.

Im Oktober 1920 tritt das Gesetz über die Bildung Groß-Berlins in Kraft. Im neuen 11. Verwaltungsbezirk Schöneberg leben nach der Vereinigung mit Friedenau über 220.000 Menschen. Mit den Neuwahlen wird der kommunale Liberalismus, der Schöneberg wie viele andere Großstädte in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg geprägt hat, politisch bedeutungslos.
1921 übernimmt der nationalistisch-konservative Bürgermeister Emil Berndt für 12 Jahre die Amtsgeschäfte.

Das dringlichste Thema des ersten Bezirksamtes, jetzt von den Vorgaben des Berliner Magistrats abhängig, wird die Bewältigung der Not der Nachkriegsjahre, wie Lebensmittelversorgung, Wohnungsbau, Arbeitsbeschaffung und Fürsorge für Kranke und Schwache. Mit der Einführung des neuen Wahlrechts bestimmen seit 1919 auch Frauen in der Stadt- bzw. Bezirksverordnetenversammlung aktiv mit.

„An die Einwohner Schönebergs! Die Einwohnerwehr hat mit den Offizierskompagnien, die das alte und neue Rathaus in den letzten Tagen besetzt hatten, nie etwas zu tun gehabt. Pflicht der Einwohnerwehr ist lediglich der Schutz der städtischen Gebäude und der Lebensmittelversorgung. Nur diese Aufgabe hat die Einwohnerwehr auch tatsächlich erfüllt. Insbesondere ist kein Einwohner Schönebergs von der Einwohnerwehr getötet oder verwundet worden.“

Plakat, 19.3.1920

„Drei Anträge lagen vor, die sich mit Maßnahmen zur Beseitigung der herrschenden Wohnungsnot (…) beschäftigten. (…) Nur durch Neubauten könne die Frage großzügig gelöst werden. Auch die Stadtverordnete Frau Böhm (…) hat Beispiele von Wohnungswucher zur Hand. Bedenklich sei es, dass man die obdachlosen Familien wieder in Schulgebäuden untergebracht habe, da es nötig sei, endlich (…) die Schulgebäude ihrem eigentlichen Zweck wieder zuzuführen“

Schöneberg-Friedenauer Tageblatt über die Sitzung der Stadtverordneten vom 7.4.1919


4. Das Rathaus im Dienst der Diktatur

„Wir brauchen für das neue Deutschland nicht umzulernen“

Als mit dem nationalsozialistischen Machtantritt ab März 1933 die „Säuberung“ und „Gleichschaltung“ der Bezirksverwaltungen verfügt wird, trifft dies im Schöneberger Rathaus nicht auf Widerstand. Starke nationalistische Kräfte hatten schon in den 20er Jahren die Bezirksversammlung geprägt, ab 1929 noch verstärkt durch Mitglieder der NSDAP. Missliebige Stadträte, Beamte, Angestellte und Arbeiter werden entlassen und durch linientreue ersetzt, die Bezirksversammlung wird abgeschafft, der Betriebsrat aufgelöst. Bürgermeister Berndt (DNVP) wird im Juli 1933 durch Oswald Schulz (NSDAP) ersetzt.

In den Folgejahren wird das Bezirksamt zum „willigen Vollstrecker“ der NS-Gesetze und -Verordnungen, Auch scheinbar „unpolitische“ Dienststellen wie das Gesundheitsamt oder das Standesamt werden zu Erfüllungsgehilfen nationalsozialistischer Rassen- und Eroberungspolitik.

Auch das Innere des Gebäudes wird der NS-Weltanschauung angepasst. In fast jedem Amtszimmer hängt ein Portrait Adolf Hitlers und ab 1938 „schmückt“ ein Freskenzyklus von Franz Eichhorst den Bürgersaal; er wird im Mai 1945 in größter Eile übermalt. Am Ende des Zweiten Weltkrieges ist das Rathaus durch Bombentreffer und Beschuss erheblich zerstört, teilweise geplündert und von seinen Führern verlassen.

„Wir brauchen für das neue Deutschland nicht umzulernen denn in all den Jahren ist die Schöneberger Verwaltung stets von den Gefühlen heißer, selbstloser Vaterlandsliebe und treuer nationaler Gesinnung geleitet gewesen“

Bürgermeister Berndt auf der 1. Sitzung der neuen Schöneberger Bezirksversammlung am 22.5.1933

„Bürgermeister Berndt – Schöneberg – hat dem Magistrat verschiedene unlautere Elemente aus dem Jugend- und Wohlfahrtsamt zur Beurlaubung gemeldet, da nach der neuen Verfügung jede Beurlaubung der Zustimmung der Zentrale bedarf. Stadtrat Dr. Graff hat angeordnet, dass alle marxistischen und pazifistischen Bücher aus den Volksbüchereien entfernt werden.“

Schöneberg-Friedenauer Tageblatt, 28.3.1933

„Die Arbeiterin Herta L. (…) ist in der hiesigen Nervenfürsorgestelle bekannt und beabsichtigt, den Heinrich K. (…) zu heiraten. Frau L. leidet an einer hysterischen Seelenstörung. Im Falle eines Aufgebots wäre unbedingt ein Ehetauglichkeitszeugnis zu fordern. Es wird gebeten, das ev. Aufgebot über sämtliche Standesämter Gross-Berlins sperren zu lassen.“

Gesundheitsamt Schöneberg, 30.9.1938

„Am 26.4.45 wurden auf höheren Befehl sämtliche Hausakten der jüdischen Besitzer sowie andere Geheimsachen, die hier im Bauamt bei dem Dienststellenleiter (…) lagerten, in dem Ofen der Zentralheizung
verbrannt.“

Bericht eines Tiefbautechnikers, 17.9.1948


5. Krisenmanagement in der Nachkriegszeit

„Wir standen vor dem totalen Nichts“

Am 2. Mai 1945 endet der Krieg in Berlin: Schöneberg liegt in Trümmern, das Rathaus hat teilzerstört überlebt. Zum ersten Bürgermeister wird vom sowjetischen Kommandanten der Kommunist Ferdinand Grändorf bestimmt.
Im Juli 1945 folgt der Sozialdemokrat Erich Wendland, der unter der amerikanischen Militärregierung mit dem Wiederaufbau beginnt. Krisenmanagement ist das Gebot der Stunde. Die Enttrümmerung und die notdürftige Lösung der prekären Ernährungslage sind die dringlichsten Aufgaben der Verwaltung. Wie miserabel die Versorgungssituation noch im Januar 1947 ist, belegen erschütternde Berichte aus der Abteilung Soziales. Eine zentrale Frage ist von Beginn an auch die Entnazifizierung und Demokratisierung der Gesellschaft.

Im Februar 1946 erhält Schöneberg von der amerikanischen Besatzungsmacht das Selbstverwaltungsrecht. Gleichzeitig wird ein Verbindungsoffizier zur Kontrolle der Bezirksamtsarbeit eingesetzt. Bemerkenswert hoch ist der Stellenwert der Kultur als „geistige Nahrung“ in dieser Zeit. Schon ab Mai 1945 werden der Bürgersaal und andere Rathausräume wieder für Konzerte, Theater und Ausstellungen genutzt.

„Am 5.5.45 meldete sich der Unterzeichnende im Neuen Rathaus wieder zum Dienstantritt und wurde mit den übrigen sich einfindenden Beamten und Angestellten im Magistratssitzungssaal im 1. Stock in eine Anwesenheitsliste eingetragen. Ein älterer Techniker der sich dem russischen Verbindungsoffizier zur Verfügung gestellt hatte, übernahm die Leitung und teilte die Anwesenden in Aufräumungskommandos ein. Diese hatten die Flure und Zimmer vom Schutt zu säubern, die Zimmereinrichtungen zu ordnen und Munition zu sammeln. In der Vorhalle des Neuen Rathauses war ein großer Berg von Munitionskästen, Ausrüstungsstücken, Gewehren, Handgranaten, loser Gewehr- und Pistolenmunition zum Abtransport zusammengetragen. Beim Einsammeln der Munition passierte einem Kollegen das Unglück, eine Handgranate fallen, zu lassen, die explodierte und ihn schwer verletzte. Er ist später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen.“

Aus einem Bericht des Dienststellenleiters der Abt. für Sozialwesen, verfasst 1948

„Die Not hat durch die bisher zweimalige starke Kälteperiode ein furchtbares Ausmass angenommen. Im Amt kam es vor, dass Menschen vor Schwäche und Kälte umgefallen sind. Es gibt Verzweiflungsausbrüche, besonders der Mütter, denen nur liebevoller Zuspruch entgegengebracht werden kann.

Noch erschütternder waren im allgemeinen die Bilder, die sich bei den Hausbesuchen boten. In den Wohnungen herrschte mitunter eine Temperatur von minus 5 bis 7 Grad. (…) In den Familien lagen oft mehrere Menschen eng zusammengefercht zusammen in einem Bett, um sich gegenseitig zu erwärmen.
(…)

Viele äusserten den Wunsch, zu sterben.“

Aus dem Tagungsbericht der Abteilung für Sozialwesen Schöneberg, Januar 1947


6. Das Rathaus Schöneberg wird Regierungssitz

Provisorium und Symbol

Mit der Spaltung von Berliner Stadtparlament und -verwaltung in den letzten Monaten des Jahres 1948 schlägt für das Schöneberger Rathaus eine historische Stunde. Auf Vorschlag von Otto Suhr sollen die Stadtverordneten der Westsektoren ihre Sitzungen vorläufig im Bürgersaal des Rathauses abhalten. Dieser wird in aller Eile notdürftig hergerichtet und am 14. Januar 1949 heißt Bezirksbürgermeister Wendland die neugewählte Stadtverordnetenversammlung zur ersten Sitzung in seinem Haus willkommen. Niemand ahnt, wie lange dieses Provisorium dauern wird.

Nach größeren Umbauten beziehen Anfang Juni 1949 auch der damalige Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter, die beiden Bürgermeister und die alliierten Verbindungsoffiziere ihre Diensträume im Schöneberger Rathaus. Als Sitz der Stadtregierung wird das Gebäude zum politischen Mittelpunkt des westlichen Berlin. Und mehr noch: in der überhitzten Atmosphäre des Kalten Krieges erscheint es als markantes Symbol der „freien Welt“.
Vom eilends umgebauten Turm läutet seit Oktober 1950 die Freiheitsglocke, ein „Geschenk des amerikanischen Volkes“ an die Stadt. Im Laufe der 50er Jahre wird die Glocke zu einem Wahrzeichen Berlins.

„Die Bevölkerung Schönebergs, vertreten durch das Bezirksamt, ist stolz darauf, dass es ihr möglich war, dem Ansehen und den Aufgaben des Hohen Hauses entsprechende Räume in entsprechender Umgebung zur Verfügung stellen zu können, solange die Durchführung Ihrer Aufgaben in der eigentlichen Stätte der Stadtverordnetenversammlung Ihnen unmöglich gemacht wird.“

Bezirksbürgermeister Wendland zur Begrüßung der Stadtverordnetenversammlung im umgebauten Bürgersaal am 14.1.1949

„Über weite Meere ist heute die Freiheitsglocke nach langer Wanderung zu uns Berlinern gekommen, um vom Turm unseres Rathauses ihren Klang in alle Länder zu tragen. Es war am 9. September 1948, als wir in unserer höchsten Not die Welt gerufen haben, sie um Hilfe baten und sie beschworen haben, diese Stadt nicht im Stich zu lassen. Unser Ruf ist gehört worden. Berlin hat dank der Hilfe, die uns zuteil wurde, den Versuch, zwei Millionen zu erdrosseln, abwehren können. Wir sind eine freie Stadt geblieben.“

Ansprache Ernst Reuters zur Übergabe der Freiheitsglocke an die Berliner, 24.10.1950

„Wir duften ja die Glocke vorher nicht Probe läuten, und mein Kollege war der Meinung, dass das mit den mitgelieferten Motoren nicht funktionieren würde. ‚Jungs, haltet euch mal parat, wenn unten der Clay auf den Knopf drückt, dann müssen wir hier oben bestimmt anschieben.‘ Und so war es dann auch.“

Wolfgang Tümmel, als Elektriker beim Einbau der Glocke im Oktober 1950 dabei.


7. Das Rathaus als lokales Verwaltungszentrum

„Schöneberg baut auf“

Während für die Berlin-Politik „Freiheit“ das große Thema ist, steht die Arbeit des Bezirksamtes bis weit in die 1960er Jahre unter dem Zeichen des „Aufbaus“. Die Folgen von Krieg und Blockade sind noch überall spürbar: Wohnung, Arbeit, Zuzugsgenehmigung – mit diesen Problemen ist die Verwaltung um 1950 täglich konfrontiert.

Angesichts der materiellen Notlage scheint es wichtig, den Menschen „ein bisschen Aufschwung“ zu geben. In Filmen und Ausstellungen dokumentiert der Bezirk stolz die bisherigen Aufbauleistungen und stellt künftige Projekte vor. Mit einem großen Volksfest weiht die neue Bezirksbürgermeisterin Ella Barowsky 1951 den Trümmerberg „Insulaner“ ein. Der Gedenkstein stammt von einem Sandsteinquader der im Krieg zerstörten Nordfassade des Schöneberger Rathauses.

Im Rathaus selbst und in seiner Umgebung wird nach Kräften gebaut, denn seit das Gebäude Senatssitz ist, fließen die Mittel besser. Doch nach Abschluss der Bauarbeiten müssen die eigentlichen Hausherren weichen und ihre Diensträume dem Regierenden Bürgermeister und dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses überlassen.

Die Inbetriebnahme einer neuen Turmuhr im Juni 1952 nimmt der Bezirk zum Anlass, wieder einmal zu feiern – mit Festprogramm und großem Feuerwerk.

Zwei Jahre später ist endlich auch der Schöneberger Sitzungssaal wieder hergestellt und am 16. Juni 1954 kehrt die Bezirksverordnetenversammlung an ihre alte Stätte zurück.

„Der Bezirk Schöneberg, mit seinen stark zerstörten Teilgebieten, hat nur Aussicht auf eine schnelle städtebauliche Gesundung, wenn das Schwergewicht des Bauens auf die Errichtung moderner Wohneinheiten gelegt wird. Völlig zerschlissene Kleider wird man jetzt auch nicht mehr flicken, sondern wegwerfen, weil ein neues Kleidungsstück billiger ist.“

Aus dem Prospekt zur Ausstellung "Schöneberg baut auf", die im November 1950 im Rathaus Schöneberg gezeigt wurde.

„Wir haben in dieser Zeit überhaupt erstaunlich viel gefeiert. Es war sehr wichtig für die Berliner Bevölkerung, dass sie ein bisschen Aufschwung bekam. Auch offiziell vom Bezirk veranstaltet.“

Ella Barowsky, Bezirksbürgermeisterinu von 1951 bis 1954, in einem Interview 2001.


8. Kundgebungen, Demonstrationen, hohe Gäste

„Politisches Zentrum der freien Stadt“

Als Regierungssitz ist das Rathaus Schöneberg immer wieder Anlaufstelle für politische Kundgebungen im Zeichen des Kalten Krieges. Senat und Abgeordnetenhaus rufen zu den Versammlungen auf und die Berliner Bevölkerung strömt in Massen zum Rudolph-Wilde-Park: bei der Aufhebung der Blockade 1949, zur Gedenkfeier für die Opfer des 17. Juni 1953, nach dem Mauerbau 1961.

Die wohl größte Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg findet anlässlich des Kennedy-Besuchs am 26. Juni 1963 statt. Hier spricht der amerikanische Präsident John F. Kennedy seine beühmten Worte „Ich bin ein Berliner“ und hier trägt er sich auf Bitten des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt in das Goldene Buch der Stadt ein. Nach der Ermordung Kennedys erhält der Rudolph-Wilde-Platz dessen Namen.

Doch Mitte der 60er Jahre ändert sich die vertraute Kulisse vor dem Rathaus. Wird die britische Königin Elisabeth II. bei ihrem Besuch im Mai 1965 noch herzlich begrüßt, kommt es beim Staatsbesuch des iranischen Kaiserpaares zwei Jahre später zu heftigen Auseinandersetzungen. Der Beginn einer neuen Protestkultur im Namen von Freiheit und Selbstbestimmung zeichnet sich ab.

Als politisches Zentrum Berlins steht das Rathaus Schöneberg im Blickpunkt der Öffentlichkeit – und das weiß auch der Bezirk für sich zu nutzen. Aus Anlass der 700-Jahrfeier Schönebergs 1964 präsentiert sich der Bezirksbürgermeister vor symbolischer Kulisse. Auf dem John-F.-Kennedy-Platz nimmt er gemeinsam mit dem „Commanding General“ eine amerikanische Truppenparade ab. Auch in den Folgejahren finden immer wieder Bezirksparaden der „U.S. Berlin Brigade“ vor dem Rathaus statt.

Überhaupt spielt die „Kontaktpflege“ mit den Amerikanern auf Bezirksebene eine Rolle. Kommandierende Generäle und Verbindungsoffiziere werden festlich empfangen und verabschiedet – und regelmäßig starten Sonderbusse vom Rathaus zum Deutsch-Amerikanischen Volksfest.

„In tiefer Trauer, in tiefem Mitleid und in hoher Bewunderung gedenken wir aller Märtyrer der Freiheit.“

Bundeskanzler Konrad Adenauer in seiner Rede bei der Trauerfeier am 23.6.1953 für die Opfer des 17. Juni.

„Wir haben uns würdig zu erweisen den Idealen, die in dieser Freiheitsglocke über uns symbolisiert sind.“

Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt in seiner Rede am 16.8.1961, drei Tage nach dem Mauerbau.

„Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: Ich bin ein Bürger Roms. Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann: Ich bin ein Berliner.“

John F. Kennedy in seiner Rede vor dem Rathaus Schöneberg, 26.6.1963


9. Raumnot allerorten

„Von Kopf bis Fuß auf Umbau eingestellt“

Im Lauf der 1970er Jahre wird immer wieder über einen Auszug von Regierung und Parlament aus dem Rathaus Schöneberg nachgedacht. Obwohl die meisten Abteilungen des Bezirksamts mittlerweile ausgelagert wurden, um Platz für Senatsdienststellen zu schaffen, herrscht Raumnot. Dennoch entschließt sich der Senat 1978 endgültig dazu, aus dem Provisorium eine Dauerlösung zu machen. Nun startet ein großangelegtes Bauprogramm, das neben Um- und Ausbauten auch die behutsame Erneuerung historischer Bausubstanz vorsieht.

Pünktlich zur 750-Jahrfeier Berlins kann der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 1987 die erste Senatssitzung im wiederhergestellten Goldenen Saal eröffnen.

Anfang der 80er Jahre herrscht in Berlin Wohnungsnot, gleichzeitig stehen zahlreiche Altbauten leer. Mit der Maxime „Instandbesetzen statt kaputtbesitzen“ reagieren Hausbesetzer in Selbsthilfe. Als der Senat die Häuser räumen lässt, kommt es zu Demonstrationen. Sie finden ihren Höhepunkt im September 1981 in einer Straßenschlacht vor dem Rathaus.

„Ich habe in diesem Rathaus kein Jahr ohne Umbauten, ohne Handwerker erlebt.“

Die damalige Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna-Renata Laurien, bei der letzten Sitzung im Rathaus Schöneberg am 25.3.1993


10. Die Untermieter ziehen aus

Nach dem Mauerfall

10. November 1989: Am Tag nach der Maueröffnung wird das Rathaus Schöneberg ein letztes Mal Schauplatz einer deutschlandpolitischen Großkundgebung – mit Bundeskanzler Kohl und dem Läuten der Freiheitsglocke. Das unerwartet schnelle Ende der DDR beendet in der Folgezeit auch die Doppelnutzung des Gebäudes durch Stadt und Bezirk.

Nach der deutschen Wiedervereinigung ziehen der Regierende Bürgermeister und die Senatskanzlei 1991 ins Rote Rathaus. Eberhard Diepgen übergibt den Rathausschlüssel feierlich an Bezirksbürgermeister Michael Barthel. Nun können die Schöneberger Amtsinhaber/innen wieder in den angestammten Räumen arbeiten. Eine weitere Schlüsselübergabe – diesmal an Bezirksbürgermeister Uwe Saager – wird 1993 beim Auszug des Abgeordnetenhauses fällig. Die Freiheitsglocke, so wird entschieden, soll an ihrem historischen Ort bleiben.

Durch den Auszug der Untermieter werden etwa 500 Räume frei und die ausgelagerten Bezirksabteilungen kehren ins Schöneberger Rathaus zurück. Nach über vierzig Jahren kann der Bezirk Schöneberg das Gebäude wieder alleine nutzen – bis zur Fusion 2001.

„Wir hoffen, dass auch dieses Rathaus eines Tages wieder ein normales Rathaus sein wird.“

Peter Rebsch, Präsident des Abgeordnetenhauses, 1988


11. Das Rathaus nach der Fusion

Tanz in die Zukunft

Heute ist das Rathaus Schöneberg „Regierungssitz“ von Tempelhof-Schöneberg, einem der einwohnerstärksten Bezirke Berlins. Hier sitzt der Bezirksbürgermeister und hier trifft die Bezirksverordnetenversammlung wichtige Entscheidungen. Die vergangenen 10 Jahre waren für das Rathaus eine Phase des Umbruch und des Neubeginns – Verwaltungsreform und Gebietsreform sind hier die Stichworte.

Noch vor der Fusion, in der Amtszeit der Bezirkbürgermeisterin Elisabeth Ziemer, wird der ehemalige Bürgersaal wieder seiner alten Funktion als Fest- und Veranstaltungssaal zugeführt. Seit 1998 heißt er Willy-Brandt-Saal. Hier findet auch in der Sylvesternacht 2000/2001 unter dem Motto „Tanz in die Zukunft“ der Fusionsball mit 600 geladenen Gästen statt. Im Goldenen Saal werden dem zukünftigen Bezirksbürgermeister Dieter Hapel und seinen Stadträten die Ernennungsurkunden überreicht.

Die ungleichen Nachbarn Schöneberg und Tempelhof sehen die Zusammenlegung mit gemischten Gefühlen. Nach der politischen Bezirksfusion beginnt der Umzug der Verwaltung: Dutzende von Dienststellen, die es bislang doppelt gab, werden vereinigt. 12.300 Umzugskartons wandern zwischen 16 Bürogebäuden des neuen Fusionsbezirkes hin und her.

Die aktuelle Nutzung des Rathauses Schöneberg ist ganz im Sinne der alten Erbauer – ein modernes Dienstleistungs-, Bürger-, Kultur- und Kongresszentrum, das den vielfältigen Aufgaben und Ansprüchen des Bezirks Tempelhof-Schöneberg gerecht werden will.

.. und ein letzter Blick zurück„… mein Bestreben war seit Jahren darauf gerichtet, eine Verschmelzung der Gemeindeverwaltungen mit Groß-Berlin durchzusetzen. Dieses Ziel ist erreicht. Und wenn auch jetzt im Anfang unzweifelhaft schwere Mängel diesem neuen Gebilde anhaften und schmerzliche Erfahrungen vielfach auch unter den früheren Anhängern des Gedankens von Groß-Berlin Mißbehagen und Enttäuschung auslösen, so ist es doch meine unerschütterliche Überzeugung, daß es der bewährten Kunst der deutschen Stadtverwaltung gelingen wird, auch dieses schwersten Problems der Neuorganisation der größten deutschen Kommunalverwaltung Herr zu werden.“

Alexander Dominicus beim Ausscheiden aus dem Amt als Oberbürgermeister der Stadt Schöneberg am 21.3.1921


Dank an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg für die Genehmigung zur Übernahme des Textes
Foto: Axel Mauruszat, Wikimedia Commons

 

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