Ehepaar Bartsch

Ehepaar BartschHerr Bartsch: Also ich bin unmittelbar an der Brunnenstraße geboren, meine Frau nicht. Meine Frau ist in der Schönhauser Allee geboren.
Frau Bartsch: An der Kuglerstraße!
Herr Bartsch: Drei Häuser von der Brunnenstraße bin ich geboren, in der Ramlerstraße 35. An der Ecke, da war die 38. Da bin ich aufgezogen worden. Leider fiel Vater 1915, Mutter hat nicht mehr geheiratet danach. Sie konnte zwar sehr gute Partien machen, aber sie wollte nicht mehr.
1914 ging dann gleich am fünften Mobilmachungstag der Vater in den Krieg und kam nie wieder. Er ist dann im März gefallen, im darauf folgenden Jahr. Ich hab mein Vater also nur bis fünf Jahre kennengelernt.
Meine Mutter hatte es sehr schwer. Sie ist an die Nähmaschine gegangen und hat Mäntel genäht. Und hat 29 Mark und 30 Pfennig Witwenrente gekriegt.
Zur Schule gegangen bin ich in der Putbusser Straße, ich bin da sehr gerne hingegangen. Ich habe es gebracht bis zur Oberklasse. Ich sollte eigentlich im letzten Jahr raus, weil ich nicht evangelisch war, das war ne evangelische Schule. Da hab ich zu dem Lehrer gesagt, ich geh hier nicht weg. Ich bin katholisch und ich glaube was und das haben sie auch akzeptiert.
Dann bin ich zur AEG gegangen, weil mein Vater da auch gearbeitet hat, wurde da auch gleich eingestellt und wurde dort Lehrling, das war am 1. Oktober ’23, mit 19 Jahren. Das war aber in der Lehrlingswerkstatt in Reinickendorf. Und dann bin ich Werkzeugdreher geworden. Hab auch meine Gesellenprüfung gemacht, auch ziemlich gut, und bin auch bei der AEG geblieben. Dann aber in der Brunnenstraße, bei der großen AEG. Das hab ich dann zwei Jahre noch gemacht und dann wurde ich arbeitslos, da war ja dann alles zu Ende.
Es wurden ja auch schon einige entlassen, als ich ausgelernt hatte, aber ich konnte mich noch zwei Jahre halten. Aber 1929 wurde ich dann auch entlassen.
Dann kam etwas sehr Spaßiges. Ich war etwa ein halbes Jahr arbeitslos, dann hab ich bei der Post angefangen, und zwar beim Postzeitungsamt in der Dessauer Straße am Bahnhof Potsdamer Platz. Das war ein ganz großer Glücksfall. dann bin ich dort in die Druckerei gekommen, und da ich Handwerker war, bin ich in die Werkstatt gekommen.
Frau Bartsch: In die Hauswerkstatt
Herr Bartsch: Dort war ich von 1930 bis 1942. Dann wurde ich Soldat. Aber ich war nie ein Hilter-Mann, weder SA noch SS. Obwohl mein Postdirektor gesagt hat: Herr Bartsch, ich kann Sie nicht befördern. Sie wären längst dran, befördert zu werden, aber Sie müssen sich politisch betätigen. Da hab ich gesagt, ich bin katholisch. Ach Quatsch, sagt der, es gibt so viele katholische, die sind trotzdem in der Partei.
Dann bin ich in russische Gefangenschaft gekommen, bin aber nie verwundet worden. Oktober ’47 bin ich aus der russischen Gefangenschaft zurück gekommen. Ich bin mit dem Russen immer sehr gut ausgekommen. Kann mich nicht beklagen, dass ich jemals von einem Russen geschlagen wurde. Der Russe ist ein guter Mensch. Ich bin nicht Kommunist, aber ich muss sagen, wie ich das sehe!
Dann hab ich mich am zweiten Tag wieder bei der Post gemeldet. Und die haben mich mit offenen Armen aufgenommen: Ich war ja kein Hitler-Mann, plötzlich war das ein riesen Vorteil. Mein armer Meister, ein wunderbarer Kerl, der ja in der Partei war, kam er ja gar nicht drum rum als Beamter, der hatte sich auch gemeldet. Aber er wurde abgewiesen, ist dann nach hause gegangen und hat sich das Leben genommen. Schade, schade, schade.

Bis zur Lehre, haben Sie in der Ramlerstraße gewohnt, bei Ihrer Mutter?
Frau Bartsch: Bis zur Hochzeit!
Herr Bartsch: Genau, Bravo! (klatscht, beide lachen).
Wir hatten eine kleine Wohnung, mit Stube, Korridor, Küche und ne eigene Toilette, aber die war ne halbe Treppe tiefer. So war das üblich. Dabei war das damals ein modern gebautes Haus.
Frau Bartsch: Wir hatten damals wirklich viel Glück.
Herr Bartsch: Ich hatte dann da ne Freundin im Vorderhaus…
Frau Bartsch: Ach?… (Gelächter)

So, kommen wir mal zu Ihnen. Sie sind in der Kuglerstraße aufgewachsen.
Frau Bartsch: Ja, aber nur bis zehn Jahre. Ich bin 1911 geboren und ’21 sind meine Eltern ausgezogen, ins Havelland, nach Schwante. Die Eltern haben da gesiedelt. Mein Vater ist täglich nach Berlin gefahren, er war damals Former bei Keyling & Thomas in der Ackerstraße. Und zwar hat er das bis ’24 gemacht. Ich hatte einen Bruder, der war in einem Sägewerk in Schwante, und da bot es sich an, Abfallholz, Bretter und so weiter mitzunehmen und die Eltern fingen an zu bauen. Es wurde ein Fundament gegossen und darauf ein Balkengerüst gebaut.
Bis 1926 bin ich in Velten zur Schule gegangen, mittlere Reife. Dann hab ich technische Zeichnerin gelernt und wurde auch bis 1929 da beschäftigt. Ich bin dann 1931 nach Berlin gegangen und hab dann auch bei Postzeitungsamt angefangen.
Herr Bartsch: Ich habe meine Frau beim Postzeitungsamt angestellt bekommen.
Frau Bartsch: Und da hab ich ’37, bis wir geheiratet haben, gearbeitet. Ne, bis ’39 sogar. Und dann hab ich nur immer am Monatsende Dienst gemacht. Ja, und inzwischen wurde ja auch die Tochter geboren.
Herr Bartsch: Es war ja ein wunderbarer Zuschuss für uns. Also ich von der Druckerei in die Werkstatt ging, da hab ich ja gleich 16 Mark mehr verdient in der Woche, das war ja viel Geld, damals.

Wie haben Sie sich eigentlich bei kennengelernt, war das bei der Post?
Herr Bartsch: Nein, wir beide kannten uns schon mit drei, vier Jahren. Aber als meine Frau sechs Jahre alt war, gab einen großen Familienknatsch, der dauert zwölf Jahre und solange habe ich sie auch nicht gesehen. Mit 18 Jahren bin ich durch einen anderen Onkel, der mit dem Knatsch nichts zu tun hatte, mit rausgekommen, da haben wir uns wiedergesehen.

Die Eltern haben ja sicher nicht so gerne gesehen.
Frau Bartsch: Nein, mein Vater hat sich nicht eingemischt, aber Mutter war nicht einverstanden. Ich wurde ja katholisch dann nachher und wir haben ja katholisch geheiratet dann. Meine Eltern waren evangelisch.
Herr Bartsch: Wir haben viel Schwierigkeiten gehabt. Wir mussten Gesundheitstestes machen und sowas.
Frau Bartsch: Wir haben uns ’35 verlobt und ’37 geheiratet. Dann mussten wir einen Ahnennachweis bringen

Und die Eltern haben das dann akzeptiert, obwohl sie untereinander zerstritten waren?
Frau Bartsch: Na ja, meine Eltern hatten ja draußen das Land, Gemüse, den Spargel, die Erdbeeren und so, dann kamen dann seine auch ganz gerne raus…
Herr Bartsch: Zu der Zeit kam die Verwandtschaft gerne raus. Und die pflückte Erdbeeren und schüttelte den Korb, so dass noch mehr rein ging. Das hat meine Schwiegermutter zu meiner Frau gesagt: Lasse doch schütteln, wenn sie zuhause sind, läuft es sowieso aus, weil sie so gequetscht sind.
Frau Bartsch: Und in den Vorortzug haben sie den Korb reingestellt und der fing dann an zu tropfen.
Herr Bartsch: Und dann haben wir 1937 geheiratet.
Frau Bartsch: Ich bin aber 1931 schon nach Berlin gezogen und habe erst in der Choriner Straße ein Zimmer gehabt und später in der Oderberger Straße und bin von da mit dem Fahrrad zum Postzeitungsamt gefahren.
Herr Bartsch: Aber das kam bei uns schon die große Leidenschaft für die Musik. Da merkten wir unsere gemeinsamen Interessen: Musik, Kirche, Reisen. Aber wir sind dann das erste Mal erst 1953 gereist.
Frau Bartsch: Nö, nö, nö, hör mal! Wir haben ne Hochzeitsreise gemacht! Und waren 1938 im Harz und ’39 im Schwarzwald, mit Kraft durch Freude.
Herr Bartsch: Ach ja, Kraft durch Freude, ja, ja, ja, da war ja auch die Christa unterwegs.
Frau Bartsch: Genau, dann 1940 wurde nämlich unsere Tochter geboren, blieb auch die einzige. Und ’42 musste er weg und kam erst 47 wieder.
Herr Bartsch: Aber die Liebe ist noch sehr groß!
Frau Bartsch: Dann waren wir im Mai ’45, am 25. April in der Gleimstraße ausgebombt. Ich war im Haus im Keller und vom Bunker im Humboldthain aus wurde das Haus beschossen. Weil die Russen waren schon durch den Tunnel durch und unser Haus wurde getroffen.
Genau gegenüber war ein Lebensmittellager von der SS. Und als das dann vorbei war, sind wir raus, da lagen dann überall die Toten, aber das war man ja schon gewohnt. Und dann standen Tochter und ich da mit nischt.
Dann haben wir eine Wohnung bekommen in der Ramlerstraße Ecke Swinemünder, direkt das Eckhaus, drei Treppen. Das Ehepaar war umgekommen bei einem Angriff, aber nach acht Tagen wurden wir wieder rausgeschmissen. Dann kriegten wir im Nebenhaus ein kleines Zimmer und da haben wir noch drin gehaust, als mein Mann ’47 wieder kam.
Herr Bartsch: Und Christa sagte dann zu meiner Frau Bartsch: Ist der Mann jetzt immer bei uns?

Wussten Sie denn, ob Ihr Mann noch lebt?
Frau Bartsch: Ja, ich bekam auch eine Nachricht, eher er nach Hause kam
Herr Bartsch: Ach?
Frau Bartsch: Ja, im Mai kriegte ich eine Nachricht, dass du noch lebst. Im Mai ’47. Und im Oktober kam er zurück.
Herr Bartsch: Ja, im Oktober wurde ich entlassen und im November war ich dann hier.
Frau Bartsch: Ich habe ja versucht im Krieg durch Stricken uns etwas dazu zu verdienen.
Herr Bartsch: Kriegtest du keine Rente?
Frau Bartsch: Nein, woher?
Herr Bartsch: Doch, ich war ja Soldat, in Gefangenschaft, ich lebte ja. Sonst hätte se Witwenrente gekriegt.

Aber eine Witwe ist sie ja zum Glück nicht geworden.
Herr Bartsch: Ne, aber wir sind neunzig geworden.
Frau Bartsch: Dann bin ich mit der Straßenbahn bis Schulzendorf gefahren und dann immer auf den Schienen bis Schwante gelaufen, zu den Eltern, um zu melden, dass wir noch leben. Dann hab ich Glasscheiben aus dem Gewächshaus mitgebracht, weil ja alles kaputt war bei uns.
Herr Bartsch: Die armen Frauen, die arme Frau. Die Frauen hatten es schwerer als wir Männer.
Frau Bartsch: Naja, mit dem Kind, das war nicht immer leicht. Im Februar ’43 war das ganz schlimm, das ist auf unserer Ecke ganz viel runtergekommen. Da hab ich uns Tücher umgebunden, vor das Gesicht, weil es ja überall brannte und da hab ich versucht, nach Schwante zu kommen. Aber wir mussten dann wieder weg.
Wir hatten aber während des Krieges nicht gehungert, wir hatten Lebensmittelkarten. Gehungert haben wir erst nach dem Krieg, als alles zusammengebrochen war.
Mit meinem Mann hab ich dann ja gewohnt von ’47 bis ’48 und kriegten dann Ramler Ecke Graun eine Parterrewohnung, genau da im Knick. Die Wohnung gehörte der Hauseigentümerin, also eigentlich ihrem Bruder, aber der war vermisst. Wir haben dann da gewohnt, bis wir 1950 in einem Neubau Gleimstraße Ecke Graunstraße eine eigene Wohnung bekamen, mit 2 1/2 Zimmer und Bad. Da kamen wir uns vor wie neu verheiratet. Und da haben wir gewohnt bis 73.

An Frau Bartsch: Haben Sie nach dem Krieg eigentlich noch mal gearbeitet?
Frau Bartsch: Nein nicht richtig, ich habe nur zu Hause gearbeitet. In der Hauptsache stricken. Ich hatte da ein Handarbeitsgeschäft und die Inhaberin vermittelte mir Kundschaft. Das war nicht viel, aber etwas. Das war nur privat.
Herr Bartsch: Und inzwischen bin ich in der Post aufgestiegen. Da ich kein Nazi war, wurden diese Leute ein bisschen bevorzugt. Ich wurde dann Postassistent und wurde dann zur Landespost-Direktion befördert, und fing an zu steigen, bis zum Hauptsekretär. Da fingen wir dann an richtig zu leben, dann fing es an, und gut zu gehen.
Frau Bartsch: Nun hatte Christa ja auch schon gelernt und hatte eine Anstellung bei Siemens. Die war ja in der Schule auch in der Putte, in Kurts Schule! Aber nun erzähl doch mal was von der Brunnenstraße!
Herr Bartsch: Ja, ja. Die Brunnenstraße, das war schon was besseres, jedenfalls die Vorderhäuser da. Und wir war’n ja auch nicht Wedding, unser Viertel wurde ja nur Gesundbrunnen genannt. Und da war ja auch der Hauptbahnhof der Gesundbrunnen. Der hatte damals drei Bahnsteige, einmal die Ringbahn, dann die Vorortbahn, die nach Oranienburg, Bernau, Velten ging. Und dann war da noch die Fernbahn, die raus ging bis nach Wittstock, auch bis Usedom. Das war ’n berühmter Bahnhof damals, der Bahnhof Gesundbrunnen. Aber alles noch Dampfzüge, auch die Ringbahn waren zu meiner Zeit noch Dampfzüge. Und dann gabs noch die Kellerbahn.
Frau Bartsch: Ja, die U-Bahn, da gings ja ganz tief runter in den Keller, die haben wir nur Kellerbahn genannt.
Herr Bartsch: Auf jeden Fall war die Brunnenstraße keine gewöhnliche Arbeiterstraße. Das waren mehr Handwerker.
Frau Bartsch: Wir hatten sogar auch noch Kuhställe auf dem Hof! Aber das war in der Graunstraße. Bei uns, das war zwar keine Brunnenstraße, aber auch nicht so schlimm wie in der Ackerstraße. Bei uns, das war eher bürgerlich.

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