In der Fremde (2)

Schon im vergangenen Herbst hatte ich im Taxi ein einschneidendes Erlebnis mit einer Flüchtlingsfamilie. Diesmal aber war es ein einzelner Mann. Er war relativ klein, sehr dünn, bärtig, schüchtern und hatte nur eine Sporttasche dabei, in die nicht viel rein passt. Ich stand am Hauptbahnhof an 5. oder 6. Position und sah, wie er den Kollegen ganz vorne ansprach. Dann ging er zum zweiten und immer weiter. Vermutlich fragt er nach etwas Geld dachte ich und fummelte schon an der Geldbörse rum, um ihm eine Münze in die Hand zu drücken. Als er an mein Fenster kam, zeigte er mir aber einen Zettel und stammelte: „Du fahren?“.
Es war ein Kostenübernahmeschein des Landesamts für Soziales, der ihn dazu berechtigt, in einem Flüchtlingsheim unterzukommen. In der Plastikhülle steckte auch ein 20-Euro-Schein, er konnte die Fahrt also bezahlen. Warum die Kollegen ihn nicht mitnehmen wollten, weiß ich nicht. Aber ich befürchte, dass ich es doch weiß.
Auf dem Schein stand auch die Adresse der Erstaufnahmeeinrichtung in der Motardstraße in Siemensstadt. Neu ankommende Flüchtlinge müssen immer erst in solches Lager und werden nach einigen Tagen auf andere Heime verteilt. Auf der Fahrt versuchte ich mit ihm zu reden, was sehr schwer war. Er sprach kein Deutsch und kaum Englisch. Trotzdem erfuhr ich, dass er aus Syrien kam, seine Frau und die Kinder sind in den Libanon geflohen und er hat den Kontakt zu ihnen verloren. Sein Name war Kamil, er hatte gegen Assad gekämpft und wurde dann noch von IS-Truppen gejagt. Während der Fahrt krümmte er sich immer wieder, er hatte Magenkrämpfe oder war verletzt.
In der Motardstraße angekommen zahlte Kamil die Fahrt, das Geld hat fast gereicht. Ich begleitete ihn zum Pförtner, aber dort wurden wir sofort abgewiesen. Das Lager sei schon überbelegt, sagte der. Nach einem Telefonat nannte er uns aber den Waldschluchtpfad in Gatow, ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung. Dort sollte noch Platz sein.
Ich versuchte meinen Fahrgast so gut es ging zu erklären, dass wir noch weiter fahren müssten. Er hatte aber kein Geld mehr und der Pförtner bestand darauf, dass der Mann nicht aufgenommen werden kann. Und wer die Weiterfahrt bezahlen sollte, ginge ihn nichts an. Nun konnte ich Kamil ja nicht einfach stehen lassen, also blieb nichts anderes übrig, als ihn auf meine Kosten zum anderen Heim zu fahren. Bis 10 Euro ließ ich das Taxameter noch laufen, dann schaltete ich es aus. Es war nochmal die gleiche Entfernung wie zuvor zur ersten Station. Auf den letzten Kilometern wurden Kamils Schmerzen offenbar stärker.
Schließlich kamen wir an dem versteckt liegenden Heim an und stiegen aus. Sofort kam ein Mann vom Wachschutz, dem ich die Lage erklärte. Ich machte ihn auch sofort auf die Schmerzen aufmerksam und er kümmerte sich gleich um Kamil. Er nahm seine Bescheinigung, die Tasche und setzte ihn auf eine Bank im Vorraum. Dann telefonierte er und ich verstand, dass er einen Arzt anrief. Damit war ich beruhigt. Ich ging zu Kamil, sagte „Doktor ok“ und verabschiedete mich. Er zeigte auf das Taxi, wollte wahrscheinlich wissen, wie es mit der Bezahlung ist. „Alles ok. Good luck“, sagte ich, dabei lächelte ich ihn an. Er tat mir sehr leid, und ich wollte ihm ja ein bisschen Mut machen. Kamil verneigte sich, dann wurde er in ein anderes Zimmer geführt.
Auf der Fahrt in Richtung Innenstadt dachte ich noch darüber nach, in was für einer schlimmen Situation diejenigen sind, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung sind. Sie landen in einem fremden Land, in dem sie sich nicht verständigen können. Die Familie verschwunden, körperliche Schmerzen, und mit Sicherheit auch seelische. Man weiß überhaupt nicht mehr, wie das eigene Leben weitergeht, ob man je zurück kann oder in diesem unbekannten Land bleibt. Und ich war wieder dankbar, dass ich in Frieden leben kann und keine Angst haben muss, dass ich erschossen oder gefoltert werde, weil ich der falschen Religion angehöre oder Gegner der Regierung bin. Hier habe ich eine Wohnung, ein warmes Bett und genug zum Essen. Ich bin sicher, ich bin reich.

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9 Kommentare

  1. Es ist ein Skandal, dass Menschen, die hier Zuflucht suchen, die Sprache nicht sprechen und mit den Gepflogenheiten nicht vertraut sind, keine Hilfe oder Orientierung an die Hand bekommen, von Pontius zu Pilatus geschickt und mehr oder weniger sich selbst (oder der Hilfsbereitschaft anderer) überlassen werden.

    Kein Wunder, dass sich diejenigen, die nicht völlig traumatisiert sind, ausklinken und ihr Heil darin suchen, sich auf eigene Faust außerhalb des Systems durchzuschlagen, zur Not eben auch mit illegalen Aktivitäten.

    Was wäre denn gewesen, wenn der Mann keinen Fahrer gefunden hätte? Wenn Du ihn wirklich vor dem Tor abgesetzt und die Weiterfahrt verweigert hättest?

    „Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte“ (Max Liebermann)

  2. Ich finde es beschämend, dass es in Deutschland so läuft. Die Regierung spuckt große Töne und vertraut auf die Hilfsbereitschaft anderer. Unmöglich, so etwas.

    Aber was will man hier schon erwarten? Wenn ich mir das System mit Jobcenter und Co. anschaue und sehe, wie das Ganze vor sich hinmarodiert, dem Rentensystem immer mal wieder Gelder entnommen werden und auch das Krankenkassen-System betrachte, wird mir nur übel.

    Ich finde es einfach nur noch traurig. Du hast toll gehandelt.

  3. Eine ähnliche Geschichte hatte ja der Kollege Taxiblogger aus Bremen geschrieben.

    Es ist doch echt ein Unding, dass es für Flüchtlinge, die ja bereits aufgenommen wurden, eine Kostenübernahme zur Unterbringung im Heim gibt aber 1. sich keiner drum kümmert, dass und wie der Flüchtling dort hin kommt und 2. der Schein sich ausdrücklich auf eine bestimmte Einrichtung bezieht, die aber dann überfüllt ist…

  4. Diese Geschichte ist ein Stchwort, um fast nahtlos an unsere Pegida-Diskussion anzuknüpfen: Menschen wie diesen Mann, der körperlich und seelisch quasi am Ende ist, schickt man mitten in der Nacht wie einen Sack Heu auf die Reise, dagegen leben selbst abgelehnte Asylbewerber aus Tunesien bei uns wie die Made im Speck, tragen Markenkleidung und spielen mit ihrem IPhone. Und bei alldem schlägt sich unsere Regierung selbstverliebt vor die Brust und lobpreist ihre „ausgewogene Asylpolitik“! Solche Politiker gehören mit 20 Euro nach Syrien geschickt!
    Was unser Volk will, ist nur: Hilfe für Menschen in Not, aber Härte gegen Betrüger und/oder Verbrecher!

  5. Was heißt, „was unser Volk will“? Die Volksgemeinschaft ist Geschichte.
    Aber dass man Betrüger und Verbrecher bestraft, ist schon in Ordnung. Am besten fängt man gleich mal bei den Rechtsextremisten an.

  6. @Aro
    Ja, zum Beispiel, aber du kanalisierst schon wieder! Wieviel Zeit sollte man sich denn dann lassen, bis all die anderen Extremisten „dran“ sind? ;-)
    Von den „Mitte“-Extremisten haben wir zum Beispiel noch gar nicht gesprochen. So bezeichne ich nämlich diejenigen, die die Macht und das Geld haben, Rechte und Linke immer schön aufeinanderzuhetzen, damit diese beschäftigt sind und man selbst in Ruhe sein Süppchen kochen kann. Ich glaube, daß auf deren Konto noch viel mehr Straftaten aller Coleur gehen als auf die der Rechten und Linken zusammen. Was wir bräuchten, ist eine Volksfront gegen Dekadenz. Solange man uns immer schön in Rechte und Linke aufteilen kann, bleiben wir eine Bananenrepublik.
    Und vor allem eins nicht vergessen: Wenn es irgendwie mit der Argumentation hapert, schnell die rassistische Keule rausholen und den ungeliebten Widerpart damit mundtot machen!

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